Wolff von der Wolffsburg – Fluch eines Rittergeschlechts
Wenn man von Barlinghausen nach Norden blickt, erhebt sich zwischen den weiten Marschwiesen eine alte, runde Wurt – größer und höher als die anderen. Sie trägt den Namen Wolffsburg, und wer an klaren Tagen dort steht, spürt noch etwas von dem Stolz und dem Schatten, die hier einst ruhten. Denn auf dieser Wurt, sagen die Alten, stand vor langer Zeit ein festes, trutziges Haus aus Stein und Eichenholz – der Sitz eines mächtigen Geschlechts: derer von Wolffsburg.
Die Herren von der Wolffsburg waren reich und angesehen. Ihr Wappen, ein schreitender Wolf auf silbernem Grund, ist noch heute am Turm der Kirche zu Padingbüttel zu sehen, und selbst die kleine Glocke in Misselwarden trägt ihr Zeichen. Sie waren keine gewöhnlichen Landbesitzer. Über weite Äcker gebot ihr Wort, über Menschen entschied ihr Wille – und, so erzählt man, selbst über Leben und Tod. Als Zeichen ihrer Macht standen vor dem Tor der Burg ein Rad und ein Galgen, Sinnbild der hohen Gerichtsbarkeit.
Doch Macht gebiert Hochmut, und mit der Zeit wurde aus der stolzen Familie eine harte, gefürchtete. Der letzte Herr, von dem man erzählt, war ein Mann von kräftiger Gestalt, mit scharfem Blick und einer Stimme, die in den Fluren hallte wie Donner über dem Meer. Er war ein leidenschaftlicher Jäger, schnell im Zorn und gewohnt, dass niemand ihm widersprach.
An jedem Sonntag ritt er in vollem Prunk zur Kirche nach Mulsum. Es war sein Recht, dass kein Gottesdienst beginnen durfte, ehe er Platz genommen hatte. Der Pfarrer, ein würdiger, stiller Mann, fügte sich dem Brauch ohne Murren – bis zu jenem verhängnisvollen Sonntag.
Der Morgen war still und hell, das Land lag in sommerlicher Ruhe. Nur fern aus dem Gehölz drang das Bellen der Hunde. Die Bauern hatten sich bereits in der Kirche versammelt, Frauen flüsterten leise, Kinder zupften an den Röcken ihrer Mütter. Doch der Platz des Junkers blieb leer. Draußen an der Mauer warf die Sonnenuhr ihren Schatten bereits weit über die Linie der neunten Stunde. Der Pastor sah hinaus, wartete, seufzte schließlich und sprach: „Möge der Herr ihn in Gnaden halten, wenn Krankheit ihn hindert. Doch wir wollen beginnen.“
Er trat an den Altar, schlug das Evangelium auf und begann mit fester Stimme zu lesen. Doch kaum hatte er die ersten Worte gesprochen, da öffnete sich die schwere Kirchentür mit einem Knall. In der Tür stand der Herr von der Wolffsburg, das Gesicht gerötet, der Atem schwer.
Er hatte die Zeit vergessen, so sagt man, weil er im Wald einem kapitalen Hirsch nachgestellt hatte. Nun aber, als er sah, dass der Gottesdienst ohne ihn begonnen hatte, flammte Zorn in ihm auf. Ein Murmeln ging durch die Kirche, Männer senkten die Köpfe, Frauen zogen ihre Kinder beiseite. Der Pastor aber, gefasst und ruhig, schloss das Buch und sprach: „Der Herr vergibt auch denen, die sich verspäten.“
Doch das Wort, das wie ein Trost gemeint war, traf den Junker wie eine Ohrfeige. Er stürmte den Mittelgang hinauf, zog den Hirschfänger aus der Scheide und schrie: „Wie wagt Ihr es, zu beginnen, bevor ich da bin?“
Bevor jemand eingreifen konnte, stieß er zu. Der Pfarrer sank still zu Boden, und sein Blut färbte die Stufen des Altars. Ein Schrei ging durch die Kirche, die Menschen flohen, und der Mörder stand allein in der heiligen Stätte.
Seit jenem Tag, so sagt man, lag ein Fluch auf dem Geschlecht der Wolffsburg.
Zuerst verging der Glanz ihres Hauses. Die Felder trugen keine Frucht mehr, die Pferde lahmten, das Vieh verendete. Dann fielen Unglücke über die Familie: Feuer auf dem Hof, Krankheit unter den Kindern, Streit unter den Erben. Einer nach dem anderen starb, bis keiner mehr übrig blieb, der den Namen trug.
Die Burg verfiel, Stein um Stein, und der Wind nahm das Heulen des Galgens mit sich.
In der Kirche zu Mulsum hing noch lange Zeit hinter dem Sakramentenschrank die Waffe, mit der der Mord begangen worden war – ein schlichter Hirschfänger mit dunkler Klinge. Später verschwand auch sie, wie alles, was an das Geschlecht erinnerte. Nur die Wurt blieb.
Wenn heute in stillen Nächten der Wind über das Land zieht, erzählen die Alten, könne man auf der Wolffsburg ein fernes Klirren hören – wie von Sporen, die über Stein schlagen. Dann, so sagen sie, reitet der letzte Wolff durch die Dunkelheit, verflucht, nie Frieden zu finden.







