Sage vom Wremer Kirchenbau – Als das Meer Steine schenkte
Wenn man heute durch Wremen geht und die alte Kirche auf ihrem kleinen Hügel stehen sieht, fest und schlicht, dann glaubt man kaum, welch wunderliche Geschichte sich um ihren Bau rankt. Doch wer an stürmischen Tagen am Deich steht und den Wind über das Watt jagen hört, der kann sie vielleicht spüren – jene Zeit, da die Wremer Bauern um jeden Stein kämpfen mussten, um ihr Gotteshaus zu errichten.
In jenen frühen Jahrhunderten, als die Marschdörfer langsam erstarkten und überall neue Kirchen entstanden, hatten alle dasselbe Problem: Es fehlte an Steinen. In der weichen Marsch fand man nichts als Klei und Schlick, gut für Deiche, aber untauglich für Mauern. Die schweren Granitblöcke der alten Hünengräber auf der Geest lagen zu weit entfernt und ließen sich kaum brechen, geschweige denn über die sumpfigen Wege heranschaffen. So standen die Wremer Ratlosen zusammen und fragten sich, wie sie je ein festes Gotteshaus errichten sollten.
Eines Abends, so erzählt man, erhob sich ein Sturm, wie ihn selbst die Alten selten erlebt hatten. Der Wind pfiff aus Westen, das Meer türmte sich schwarz und schäumend, und die Fluten schlugen bis an die Deichkanten. Die Menschen verriegelten ihre Türen, und nur das Tosen des Wassers und das Heulen des Windes füllten die Nacht. Doch als der Morgen kam und das Meer sich zurückzog, lag da draußen auf dem Watt etwas Fremdes, Großes – der gebrochene Rumpf eines gestrandeten Schiffes.
Die Männer liefen hinaus, sobald Ebbe war. Das Holz war fremd, das Tauwerk zerschlagen, und in den Ladeluken glitzerte etwas, das im grauen Licht fast golden schien. Steine – glatt und fest, von lederbrauner Farbe. Tuffstein, sagte einer, und die Kunde verbreitete sich schnell: Das Meer selbst hatte den Wremern Baumaterial gebracht.
Sie dankten Gott für dieses unerwartete Geschenk und begannen sogleich, mit den Steinen ihre Kirche zu bauen. Wochenlang klang das Schlagen der Hämmer über die Marsch, mischte sich mit dem Rufen der Männer und dem Kreischen der Möwen. Doch bald zeigte sich, dass die Ladung des Schiffes nicht ausreichen würde. Die Grundmauern standen, doch die Mauern ragten kaum zur halben Höhe.
Eines Abends saßen die Männer am Feuer, müde und bedrückt. Da sprach einer: „Wenn das Schiff aus Schottland kam, dann finden wir dort, was uns fehlt.“
„Aber wer weiß den Weg über das Meer?“ fragte ein anderer.
„Der Wind weiß ihn“, antwortete der Älteste. „Und Gott hat uns das erste Schiff geschickt – vielleicht führt er uns auch zum zweiten.“
So beluden sie ein kleines Handelsschiff mit Gerste, die reiche Ernte des Sommers, und machten sich auf den Weg. Tagelang fuhren sie über die Nordsee, dem Wind folgend, durch Nebel und Wellen. Schließlich erreichten sie die schottische Küste. Die Menschen dort staunten über die fremden Männer aus dem Land der Deiche, doch als die Wremer erzählten, wofür sie kamen, war man ihnen freundlich gesinnt. Für ihre Gerste erhielten sie genau jene Steine, die dem gestrandeten Schiff entsprochen hatten – glatt, braun und fest.
Mit frohem Herzen traten sie die Heimreise an. Wieder über das Meer, diesmal mit schwerer Fracht und leichter Seele. Als sie heimkehrten, läuteten die Glocken der Nachbardörfer ihnen entgegen, und die ganze Gemeinde kam zusammen, um den Kirchenbau zu vollenden. Stein für Stein wuchs das Gotteshaus, bis sein Turm über das flache Land ragte wie ein Zeichen des Glaubens und der Dankbarkeit.
Noch heute, wenn der Wind vom Meer her weht und die Sonne auf den alten Tuffstein fällt, glimmt er warm wie damals, als er frisch vom Schiff geladen wurde. Die Kirche von Wremen steht bis heute als stilles Wunder aus der Zeit, da das Meer selbst den Menschen half, ihr Haus Gottes zu bauen.







