Rintzels und Remintzels Untergang – Fluch der Meeresfrau
Wenn man heute nördlich von Wremen den Deich entlanggeht, wo die Weiden bis ans Wasser reichen und der Wind den Geruch von Salz und Tang herüberträgt, sieht man ein paar niedrige Häuser – das ist Rintzel. Still liegt der kleine Ort hinter dem Deich, geschützt vor dem Meer. Doch wer hier wohnt, weiß: Das Wasser war nicht immer so fern. Einst dehnte sich Rintzel weit nach Westen aus, doppelt so groß wie heute, und dort, wo nun nur Watt und Schlick liegen, stand sein Schwesternort Remintzel.
Beide Dörfer waren Nachbarn, verbunden durch Freundschaft und Arbeit. Ihre Bewohner lebten vom Meer, vom Fischfang und vom, was die Marsch hergab. Morgens, wenn die Sonne über der Geest aufstieg, sah man die Boote der Fischer auf den Prielen liegen – schwarze Schatten auf silbernem Wasser. Die Frauen flickten die Netze, Kinder liefen barfuß über den feuchten Sand, und Möwen kreisten über den Hütten. Es war ein einfaches, aber zufriedenes Leben.
Eines Tages jedoch – so erzählt die alte Sage – sollte das Meer sich alles wiederholen.
Es war ein stiller Nachmittag. Die Flut war zurückgegangen, und auf einer Sandbank, nicht weit vom Ufer, sonnte sich ein Meeresweib. Ihr Haar war lang und golden wie Seegras im Abendlicht, und ihre Haut glänzte wie das Innere einer Muschel. Einige Fischer aus Rintzel und Remintzel, die mit reicher Beute heimkehrten, entdeckten sie. „Seht da!“, rief einer. „Ein Meerweib!“ Die anderen lachten, halb ungläubig, halb erregt.
„Lasst uns sie fangen – wer weiß, welch Glück sie bringt!“ sprach der Älteste, und ehe einer widersprechen konnte, hatten sie die Netze ausgeworfen. Das Wasser schäumte, die Nixe rang mit ihnen, ihre Stimme klang wie fernes Singen. Doch die Männer waren stärker. Sie zogen sie an Land, und das Netz schnürte sich fest um ihren Leib.
„Lasst mich frei!“, rief sie, und ihre Augen leuchteten vor Angst und Zorn. „Ich bin kein Fang für Menschen! Lasst mich heim ins Meer, das mich geboren hat!“
Aber die Männer hörten nicht. Neugierig umringten sie sie, lachten über ihre fremde Sprache und wollten sie in ihr Dorf führen, um sie zu zeigen. Da verstummte sie plötzlich. Sie blickte über das Land, sah die Dächer von Rintzel und Remintzel in der Ferne glänzen und hob langsam die Arme. Ihre Stimme, so sagt man, klang nun nicht mehr wie Bitten, sondern wie Beschwörung – ein Gesang, der selbst den Wind anhalten ließ:
„So wiet mi is slept,
So weit schallt’t breken.
Rintzel un Remintzel
Schütt een bin anner vergan!“
Dann schwieg sie. Die Männer erschraken, doch es war zu spät. Sie lösten die Netze, und das Meeresweib glitt ins Wasser zurück – still, ohne sich umzusehen.
Am Abend lag eine seltsame Stille über dem Land. Kein Vogel rief, kein Wind wehte. Nur das Watt glitzerte im letzten Licht. Dann kam die Nacht – und mit ihr das Meer.
Erst war es nur ein fernes Grollen, dann das Tosen der Wellen. Der Wind erhob sich, peitschte Regen über das Land, und die Flut stieg höher und höher. Die Menschen rannten zu ihren Häusern, schlossen Türen, riefen nach Hilfe. Doch das Meer war stärker. Es brach über die Marsch, riss Netze, Boote, Zäune, und schließlich die Häuser mit sich. Rintzel und Remintzel verschwanden unter Wasser, und nur ein Teil von Rintzel, der höher lag, blieb verschont.
Als der Sturm vorüber war, sah man, was geschehen war. Das Meer hatte sein Recht genommen. Von Remintzel blieb nichts als ein paar Balken, die zwischen den Wellen trieben, und ein stiller Schlamm, in dem die Spuren der Menschen rasch verwehten.
Noch heute, wenn der Wind über das Watt zieht und das Meer gegen den Deich schlägt, erzählen die Alten in Wremen und Umgebung von jener Nacht. Und manche behaupten, an windstillen Tagen könne man draußen, jenseits des Deiches, leises Singen hören – das Lied des Meeresweibes, das einst sein Unrecht vergalt.







