Sage vom Sakramentsbaum in Dorum

Männer entdecken kunstvolle Truhe im Watt – geheimnisvolle Sage vom Sakramentsbaum in Dorum.
In einer furchtbaren Sturmflut strandete einst ein schwedisches Schiff an der Wurster Küste. In seiner Ladung befand sich ein kunstvoller Sakramentsbaum, bestimmt für Hamburg. Die Dorumer sahen darin ein Zeichen Gottes, bargen das Werk aus den Fluten – und gaben ihm in ihrer Kirche ein neues Zuhause.

Der Sakramentsbaum in Dorum – Geschenk des Meeres

Wenn man die Kirche in Dorum betritt, fällt der Blick unweigerlich auf ihn – den hohen, zierlich geschnitzten Sakramentsbaum, der sich schlank und licht wie ein Baum gen Himmel reckt. Er steht da wie ein Wunder aus einer anderen Zeit, geschaffen aus feinem Stein, durchbrochen von filigranen Bögen, verziert mit Figuren, die still über Jahrhunderte wachen. Viele haben sich gefragt, wie ein so kunstvolles Werk in eine kleine Marschkirche gelangen konnte. Die Alten aber erzählen es anders – in einer Sage, die vom Meer, vom Schicksal und vom Glauben handelt.

Es war an einem Winterabend, vor vielen Jahrhunderten. Der Wind hatte sich gedreht und kam nun schneidend aus Nordwest, wie ein Tier, das sich losgerissen hat. Über dem Watt jagte die Flut, und die See erhob sich mit furchtbarer Gewalt. In Dorum und den umliegenden Dörfern liefen die Menschen auf die Deiche, sahen hinaus in die tobende Finsternis und hörten das Krachen der Wellen, das Heulen des Sturmes und das Ächzen des Eises, das an den Pfählen schlug.

Noch in der Ferne, so erzählte man später, konnte man das Läuten einer Schiffsglocke hören – dumpf, verloren im Wind. Ein Schiff trieb dort draußen, ohne Steuer, ohne Hoffnung. Die Männer auf den Deichen hielten die Laternen hoch, doch niemand sah noch die Segel. Dann kam ein heller Blitz, der den Himmel spaltete, und im selben Augenblick war das Geräusch eines berstenden Rumpfes zu hören. Das Meer hatte das Schiff genommen.

Als die Nacht vorüber war und das Wasser sich zurückzog, trieb allerlei Strandgut an die Wurster Küste. Balken, Kisten, Tonnen, und unter ihnen auch etwas, das anders war als alles andere – ein schweres, hölzernes Gehäuse, halb im Schlick versunken, kunstvoll verziert, wie man es im Land noch nie gesehen hatte. Die Männer, die es fanden, wussten nicht, was sie da bargen. Sie schleppten es mühsam über das Watt, zogen es mit Stricken durch den nassen Sand, bis sie es in Sicherheit hatten.

Im Schutz der Kirche öffneten sie die Kiste. Und was sie darin fanden, verschlug ihnen den Atem: ein Werk aus Stein, fein wie Elfenbein, reich verziert, ein Kunststück von solcher Schönheit, dass niemand glaubte, ein menschlicher Handwerker könne es geschaffen haben. Es war – wie sie bald erfuhren – der Sakramentsbaum, bestimmt für eine große Kirche in Hamburg, doch durch den Sturm hierher verschlagen. Das gesunkene Schiff, so hieß es, war ein schwedisches Handelsschiff gewesen, das seine kostbare Fracht dem Meer nicht entreißen konnte.

Die Dorumer aber sahen in diesem Fund ein Zeichen des Himmels. „Gott selbst hat ihn uns gebracht“, sagte der Pastor, „auf dass er hier stehe, wo die Menschen einfach sind, aber der Glaube stark.“ Und so wurde der Sakramentsbaum in der Dorumer Kirche aufgestellt – mitten in der Marsch, fern von jeder Stadt, und doch von einer Schönheit, die ihresgleichen sucht.

Seither steht er dort. Die Jahrhunderte sind vergangen, Stürme kamen und gingen, die See hat Land genommen und wiedergegeben – doch der Sakramentsbaum blieb. Wenn abends das Licht durch die hohen Fenster fällt und sich auf seinem Stein bricht, scheint es, als flimmere noch das Meer darauf, das ihn einst hierher getragen hat. Und wer genau hinsieht, meint in seinen feinen Bögen und Türmchen die Bewegung der Wellen zu erkennen – eine stille Erinnerung an jenen Sturm, der ihn aus der Tiefe heraufholte und nach Dorum brachte.

Teilen:

Mehr Geschichte und Sagen

Blutiger Kirchenmord bei Nacht – düstere Sage von Wolff von der Wolffsburg an der Nordseeküste.
Sagen und Mythen

Sage von Wolff von der Wolffsburg

Auf der Wurt bei Barlinghausen stand einst die mächtige Wolffsburg. Der Herr des Hauses, stolz und jähzornig, erschlug in der Kirche den Pfarrer, weil dieser ohne ihn zu predigen begann. Von jenem Tag an galt sein Geschlecht als verflucht –

Weiterlesen »
Küster mit Kuh und Melkeimer überquert alten Holzsteg bei Sonnenuntergang – Sage von Küsters Kuh.
Sagen und Mythen

Sage von Küsters Kuh

Lebstedt war reich, gesegnet und stolz – zu stolz. Die Bauern streuten Weizenmehl auf ihre Böden, bis eines Nachts eine fromme Frau ein Zeichen erhielt: ein Aal im Herd. Sie floh – und kurz darauf verschlang eine Sturmflut das Dorf.

Weiterlesen »
Familie um Bauer Rott vor Strohdachhaus in Rotthausen – Sage von Rotthausen bei Sonnenuntergang.
Sagen und Mythen

Sage von Rotthausen

Vor langer Zeit lebte zwischen Themeln und Padingbüttel ein Bauer namens Rott. Als er alt wurde, teilte er sein Land unter seinen vielen Kindern. Sie bauten ihre Häuser entlang der Straße, nah beieinander – und nannten den Ort nach ihm:

Weiterlesen »
Sonnenaufgang über der ersten Wurt bei Themeln – Sage von Themeln im Land Wursten.
Sagen und Mythen

Sage von Themeln

Zwei Brüder lebten auf der Pipinsburg, doch Streit trennte sie. Der Jüngere verließ die Burg und baute in der weiten Marsch auf einer Wurt ein Haus. Als er vollendet hatte, sprach er: „Hier wird er sich wohl beruhigen.“ Noch heute

Weiterlesen »
Nonne segnet Kornfeld bei Spieka im Morgenlicht – Sage vom Namen Spieka an der Nordseeküste.
Sagen und Mythen

Sage vom Namen Spieka

Die Dorumer erzählen, dass an der Stelle der Spieker Kirche einst ein Kornspeicher der Nonnen von Neuenwalde stand. Der Speicher hieß „Spieker“, und mit der Zeit wurde daraus „Spieka“. So erhielt das Dorf seinen Namen – als Erinnerung an die

Weiterlesen »
Zwei Männer und ein Pferd begegnen einem Hasen im Abendlicht – Sage vom vermessenen Dudding bei Wremen.
Sagen und Mythen

Sage vom vermessenen Dudding

Bauer Dudding war reich, stolz und hartherzig. Er prahlte mit seinem Besitz und verspottete die Warnung seines Knechts – bis sich ein Hase zwischen den Hufen seines Pferdes fing. Von da an wandte sich sein Glück. Feld um Feld verlor

Weiterlesen »
Nebel über einem alten Marschhaus bei der Kirche – Sage vom untergegangenen Dorf Lebstedt an der Nordseeküste.
Sagen und Mythen

Sage vom untergegangenen Dorf Lebstedt

Lebstedt war reich und gesegnet, doch Stolz und Frevel führten zum Untergang. Die Bauern streuten Mehl auf ihre Böden, bis eine fromme Frau ein Zeichen erkannte – einen Aal im Herd. Sie floh, und kurz darauf verschlang eine gewaltige Sturmflut

Weiterlesen »

Send Us A Message

Zum Newsletter anmelden

Unsere Flaschenpost

Bei deichONLINE sind wir stolz darauf, die Vielfalt unsere Region mit allen seinen Sehenswürdigkeiten und Ausflugszielen präsentieren zu können.
Gleichzeitig bieten wir eine breite Übersicht an touristischen Dienstleistungen rund um einen unvergesslichen Besuch oder Urlaub an der Wurster Nordseeküste.

Wir freuen uns darauf, Deine Reise entlang der Wurster Nordseeküste mit unserem Newsletter Flaschenpost zu begleiten und Dir unvergessliche Momente zu bescheren.
Sei gespannt auf inspirierende Geschichten, Veranstaltungstipps und exklusive Angebote.

Herzlichen Dank für Deine Teilnahme!

Mit sonnigen Grüßen,
Dein deichONLINE Team