Vom Adlerwappen der Wurster – Ursprung des halben Adlers
Wenn abends der Wind über die Wurster Marsch streicht und die Glocken von Cappel oder Wremen über das weite Land klingen, dann erzählen die Alten gern von den Zeichen, die noch heute an mancher Kanzel, an Balken und Gestühl der alten Kirchen zu sehen sind – den halben Adlern in den Wappenschilden der alten Familien. Sie prangen dort in Holz und Stein, bei den Dürels und Johanns, bei den Erichs und Fouwes. Viele haben sich schon gefragt, warum ausgerechnet ein halber Adler ihr Sinnbild ist. Manche sagen, ihre Ahnen wären einst kaiserliche Richter gewesen, andere sehen darin nur das stolze Zeichen der Freiheit. Doch im Land selbst erzählt man es anders – wie so vieles hier, mit Salz in der Stimme und Weite im Blick.
Es war zu jener Zeit, da Kaiser Friedrich Barbarossa mit seinem Heer gen Süden zog, über die Alpen nach Italien, um die Krone des Reiches zu festigen. Der Frühling stand im Land, die Flüsse führten Wasser, und das Meer roch nach Sturm. Aus dem fernen Norden kamen junge Männer herbei – schlanke, wettergegerbte Gestalten, aus Dörfern, die kaum ein Reichskundiger kannte. Sie nannten sich Friesen und kamen vom Rande der Nordsee, aus jenem flachen Land, wo man den Horizont nicht sieht, sondern ahnt. Auch aus Wursten waren etliche darunter. Sie wollten dem Kaiser dienen, nicht um Ruhm oder Gold, sondern aus jener inneren Kraft, die nur die Freiheit kennt.
Barbarossa nahm sie auf, halb neugierig, halb belustigt. Doch bald schon zeigte sich, dass diese Männer von der Wasserkante mehr konnten, als ein Schwert halten. Sie standen fest, wo andere wankten. Sie lachten, wenn der Feind anrückte, und sie kannten keine Furcht. So sehr gefiel dem Kaiser ihr Mut, dass er sie zu seiner persönlichen Leibwache machte – ein Kreis von Männern aus Wind und Wellen, deren Wort so fest war wie der Deich, den sie daheim gebaut hatten.
Der Zug führte sie durch Täler und Städte, über Pässe, die noch Schnee trugen, bis in die Ewige Stadt. Dort, am Tiber, lag die Sonne wie Goldstaub auf den Dächern, und die Legionen des Reiches lagerten unter den Pinien. Doch kaum hatte Barbarossa seine Macht gezeigt, da gärte es unter den Römern. Ein Aufstand reifte im Verborgenen, ein Anschlag auf den Kaiser selbst. In einer heißen Nacht, als der Wind vom Fluss her nur schwach durch die Gassen zog, wurde der Plan entdeckt. Der Löwe Heinrich, Barbarossas Vertrauter, gab Befehl zum Angriff – und die Friesen, seine Leibwache, stürzten sich mit brennenden Fackeln in die engen Straßen.
Der Kampf war kurz, aber heftig. Die Luft roch nach Rauch und Blut, das Pflaster glänzte im Feuerschein. Als die Sonne über dem Tiber aufging, war der Aufstand gebrochen. Der Kaiser stand unversehrt vor seinen Männern, und die Stadt schwieg. Am Abend, als der Himmel rot über dem Fluss brannte, rief Barbarossa die Friesen zu sich. Sie standen in einem Halbkreis, müde, rußgeschwärzt, aber stolz. Der Kaiser erhob sich, das Schwert in der Hand, und sprach:
„Ihr habt euch wacker geschlagen, Männer aus dem Norden. Kein Ritter meines Hofes hätte treuer gehandelt als ihr. Tretet heran, damit ich euch zu Rittern schlage, wie es euch gebührt.“

Doch keiner von ihnen rührte sich. Das Licht der untergehenden Sonne glitt über ihre Gesichter, über Schweiß und Staub. Dann trat einer vor – groß, mit windzerzaustem Haar, vielleicht ein Bauer aus Dorum oder Cappel – und sprach mit fester Stimme:
„Kaiserliche Majestät, verzeiht uns, wenn wir nicht tun, wie uns befohlen. Doch Ritterschlag bedeutet uns keine Ehre. Wir sind freie Männer auf freier Scholle, von Vätern her, die ihr Land selbst geschaffen haben, gegen Meer und Menschen. Kein Lehnsherr steht über uns, und unser Haupt beugt sich nur vor Euch, dem Kaiser des Reiches.“
Einen Moment lang war es still. Dann lächelte Barbarossa – jenes Lächeln, das von Güte und Macht zugleich zeugte. Er senkte das Schwert und sprach:
„So sei es. Ich achte euer Wort, wie ich euren Mut geachtet habe. Doch soll euer Name und eure Tat nicht vergessen werden. Zu ewigem Gedächtnis an diesen Tag sollt ihr in euren Schilden den Adler des Reiches führen – als Zeichen der Freiheit und des Mutes, die euch auszeichnen.“
Und so kam es, dass die Wurster den halben Adler in ihr Wappen nahmen – nicht als Lehen, sondern als Sinnbild ihrer Freiheit. Noch heute blickt er von mancher Kanzel auf die Gemeinde herab, halb Adler, halb Symbol – das Zeichen jener, die dem Kaiser die Treue hielten und doch niemals Knechte waren.
Wenn man an stillen Tagen in den Kirchen der Marsch sitzt, wenn Licht durch die alten Fenster fällt und die Eichenbalken knacken, dann scheint es fast, als wehte ein Hauch jener Zeit herüber. Vom Mut der Wurster, vom Stolz der freien Männer, die dem Kaiser die Stirn boten und dafür den Adler im Herzen trugen.







