Kirchenzins Land Wursten

Ein paar Groschen genügten, um Jahrhunderte Streit zu entfachen: Der Kirchenzins im Land Wursten wurde zum Symbol der Freiheit zwischen Elbe und Weser.

Wie Bauern ihre Freiheit gegen das Erzstift Bremen verteidigten

Der Streit um den Kirchenzins im Land Wursten ist mehr als eine Auseinandersetzung um ein paar Groschen. Er spiegelt einen tiefen Konflikt: zwischen kirchlicher Macht und bäuerlicher Freiheit, zwischen Fremdherrschaft und Selbstverwaltung. Im Marschland zwischen Elbe und Weser, in kleinen Dörfern wie Dorum, Wremen oder Misselwarden, entfaltete sich über Jahrhunderte hinweg ein zäher Konflikt zwischen dem Erzstift Bremen auf der einen Seite und den freien Wurstern auf der anderen. Die Wurster Bauern weigerten sich, ihre Kirchenzahlungen und Gerichtshoheiten kampflos abzutreten — und kämpften bis zum Ende ihrer Selbständigkeit im Jahr 1524 darum, wer über ihr Land bestimmen durfte.

In diesem Text wirst du erfahren:

  • was genau der Kirchenzins war — und wie er im Wurster Land anders geregelt war als in vielen Regionen
  • wie sich der Anspruch Bremens entwickelte und wie die Wurster darauf reagierten
  • welche Rolle die Gerichtshoheit und das friesische Recht spielten
  • wie der Konflikt eskalierte und schließlich zur Unterwerfung führte
  • welche Spuren heute noch an diesen Streit erinnern

Lass uns gemeinsam eintauchen in diese Geschichte Kirchenzins Land Wursten— nicht als abstraktes Kapitel, sondern als lebendiges Stück Land Wursten, das sich in Stein, Dorfkirchen und Flurnamen fortsetzt.

Buchmalerei: Dorum zahlt Naturalien als Kirchenzins – Kirchenzins Land Wursten
Wie Gemeinden ihren Kirchenzins selbst verwalteten

 

Geographischer und gesellschaftlicher Rahmen

Das Land Wursten war eine Marschlandschaft zwischen Weser und Elbe, heute Teil des Landkreises Cuxhaven. (cuxpedia.de) Die Siedlungen lagen häufig auf sogenannten Wurten (aufgeschütteten Erdhügeln), um dem Hochwasser zu trotzen. (wremer-chronik.de) Die Dörfer bestanden schon im frühen Mittelalter, und ihre Bewohner waren überwiegend Bauern mit engem Bezug zum Land und Wasser. (wremer-chronik.de)

Politisch war Wursten lange Zeit ein Sonderfall: Eine Art bäuerliche Republik, in der die Gemeinden eigenständig handelten und kaum fremde Obrigkeit akzeptierten. (Genealogie-Wiki)

Auf der anderen Seite stand das Erzstift Bremen, das ab dem Mittelalter nicht nur geistliche Macht ausübte, sondern zunehmend auch weltliche Herrschaft über Gebiete suchte. (Wikipedia) Das Erzstift beanspruchte unter anderem die Oberhoheit über Wursten – mit allen Rechten, zu denen auch das Einziehen von Abgaben und das Ausüben von Gerichtsbarkeit gehörte. (Wikipedia)

Die besondere Struktur des Wurster Kirchengutes

Ein zentraler Unterschied: Im Wurster Land war der Kirchenzins vielfach lokal verwaltet. Die Gemeinden bauten, unterhielten und bezahlten ihre Kirchen selbst. Die Pfarrer wurden oft vom Dorf bestimmt und bezahlt. Der Kirchenzins — oft in Naturalien wie Korn, Vieh oder Butter — blieb im Ort für Reparaturen, Glocken, Altäre oder Hilfe für Bedürftige. Diese Praxis wich deutlich von der üblichen Kirchenspende ab, bei der die Mittel an den Bischof oder das Bistum flossen. (Dies war die Grundlage des Streits um den Kirchenzins Land Wursten.)

Durch diese Selbstverwaltung war Wursten in kirchlicher Hinsicht eine Ausnahme: eine Region, in der die Kirche „von unten“ organisiert und nicht zentral beherrscht wurde.

Verhandlung am Sieverdyshamm zum Kirchenzins – Kirchenzins Land Wursten
Ratgeber, Urkunden und der Anspruch des Erzstifts

Der Bremer Anspruch auf Kirchenzins und Rechte

Frühe Ansprüche Bremens

Bereits im Hochmittelalter versuchte das Erzstift Bremen, seinen Einfluss auch auf das Wurster Gebiet auszuweiten. So tauchte um 1238 in einer Urkunde das Land Wursten auf als Landschaft, die „dem Stuhl zu Bremen“ verpflichtet sei. (Wikipedia) Doch oft entsprach diese formale Namensnennung kaum der Realität vor Ort: Die Wurster zahlten wenig oder gar nichts und akzeptierten nur beschränkte Eingriffe.

Die Erzbischöfe beriefen sich auf das Kirchenrecht (z. B. das Canonicae iurisprinzip), das jede Pfarrei in die Diözese einband und somit zur Abgabe verpflichtete. In Bremen sah man die Wurster Kirchen als Teil der Diözese, die Abgaben und Gehorsam schuldeten.

Symbolische Abgaben als Kompromiss

Weil die Wurster sich weigerten, große Beträge abzugeben, blieb es oft bei symbolischen Leistungen — freiwillige Gaben, geringfügige Abgaben oder ein kleiner „Zehnte“ als Zeichen des guten Willens. Diese Gaben wurden allerdings nicht als Zwangsabgabe verstanden, sondern als freiwillige Unterstützung, nicht als Untertanenpflicht.

In vielen Fällen wurde argumentiert: Solange wir selbst bauen, unterhalten und bezahlen, sind wir frei — wir schulden Bremen nur ein Symbol oder gar nichts. Diese Haltung war zugleich ein Ausdruck von Rechtsempfinden und Widerstand.

Gerichtshoheit als Kernfrage

Neben Geld ging es um Macht: Wer bestimmt über Recht und Ordnung? In Wursten galt das friesische Recht. Streit, Schlichtung und Strafrecht wurden in der Landsgemeinde verhandelt — nicht vom Bischof. Der zentrale Ort war der Sieverdyshamm, bei Misselwarden, wo 16 Ratgeber und Gemeindevertreter (oft auch „Wurster Willkür“ genannt) Recht sprachen.

Ein entscheidender Konfliktpunkt war, dass Bremen Gerichtstage und Vogteirechte durchzusetzen suchte — etwa durch Einsetzung eigener Richter oder durch Entsendung bremischer Amtsträger. Die Wurster reagierten mit Ablehnung und, wenn nötig, Ausweisung dieser Fremden.

Holzschnitt: Konfrontation am Wremer Tief – Kirchenzins Land Wursten
Wenn der Streit um Kirchenzins zur offenen Machtfrage wird

Die Eskalation des Konflikts

Diplomatische Annäherungen – und Abwehr

Immer wieder gab es Versuche, den Streit friedlich zu regeln. Die Wurster versprachen in Urkunden, nach ihren Kräften zu zahlen, oder in Zusammenarbeit Priester und Kirchenaufseher zu prüfen. Doch wann immer Bremen stärker eingreifen wollte, formierte sich Widerstand.

Ein typisches Motto der Wurster lautete:

„Wi laten uns dat Recht nich nemen, dat uns de Väter gahn hebben.“
(„Wir lassen uns das Recht nicht nehmen, das uns die Väter gegeben haben.“)

Solche Fassaden diplomatischer Einigung hielten oft nicht lange — sobald bremischer Einfluss wuchs, zogen sich die Dörfer zusammen und wehrten sich erneut.

Im 15. und frühen 16. Jahrhundert: Machtspiele und Intrigen

Im 15. Jahrhundert verschärfte sich der Konflikt. Der Erzbischof Johann Rode versuchte, Steuer- und Militäransprüche geltend zu machen, verbunden mit Forderungen nach Anerkennung der Gerichtshoheit. Ein Kompromiss gestattete den Wurstern, bei inneren Angelegenheiten selbst zu entscheiden, solange sie Bremen militärisch unterstützten — eine fragile Balance.

Später folgte Christoph von Braunschweig-Wolfenbüttel, dessen Prunk, Schulden und Machtpolitik besonders gefährlich war. Er versuchte, das Land Wursten als Lehen zu integrieren, zentralisierte Kontrolle auszubauen und Abgaben rigoros einzutreiben.

Ab 1515 sandte er Vertreter in die Marsch, forderte Kirchenzins und Gerichtsbarkeit. Die Dörfer verweigerten, zahlten maximal symbolisch — und wehrten sich beharrlich.

Die Katastrophe von 1517: Schlacht und Unterwerfung

Eine entscheidende Wende war die Schlacht am Wremer Tief im Winter 1517. Bremische Heere zogen über Lehe und Weddewarden ins Land, es kam zu Kämpfen, hunderte Wurster fielen — darunter Tjede Pekes, eine Symbolfigur des Widerstands. (Wikipedia)

Nach dieser Schlacht wurde der „Frieden von Imsum“ geschlossen: Die Wurster anerkannten den Erzbischof als Landesherrn, übergaben Gerichtshoht und leisteten Abgaben. (wursterfreiheit1524.de)

Doch der Friede war brüchig: Als bremische Truppen abzogen, zündeten die Wurster 1518 die Burg Morgenstern bei Weddewarden an – ein Symbol für bischöfliche Macht. Sie rächten sich bei einem Gesandtschaftstreffen: beim sogenannten „Klenckenhamm“ wurde Domdekan Konrad Klencke und seine Begleiter getötet. (Wikipedia)

1524 folgte die entscheidende Schlacht bei Mulsum: Mehr als 800 Wurster starben. Damit endete die Selbstverwaltung. Mit dem Frieden von Stade (1525) wurde die Autonomie offiziell aufgehoben. Bremen setzte in jedem Kirchspiel einen Vogt ein und übernahm Gericht und Kirchenzins vollständig. (Wikipedia)

Das Ende der Unabhängigkeit und seine Folgen

Abschaffung der Wurster Willkür

Nach 1525 verschwand das System der 16 Ratgeber, das Siegel wurde eingezogen, die alte Verfassung abgeschafft. Bremen etabliert Vogteien und Amtleute. (Wikipedia) Dennoch blieben lokale Kirchenrechnungen und Praktiken, etwa zur Instandhaltung, oft im Verborgenen aktiv — als Erinnerung an die einstige Freiheit.

Im 16. und 17. Jahrhundert klagten bremische Beamte immer wieder, dass die Wurster „nur geben, was sie wollen“ — oft Butter, Heu oder Fisch statt Geld. (Wikipedia)

Weitere Konflikte und Unterwerfungsversuche

In die folgenden Jahrzehnte fielen weitere Auseinandersetzungen. So wurde 1557 eine Kontributionserhebung im Land Wursten verzeichnet — ein Versuch Bremens, Abgaben systematisch zu erheben. (arcinsys.niedersachsen.de) Auch 1608/09 gab es Streit zwischen Eingesessenen Wurstens und dem Erzstift über Reichssteuern. (archivinformationssystem.at)

Manchmal setzte Bremen Gewalt ein, oft vermischte sich kirchliche mit weltlicher Herrschaft. Ein Beispiel: Die Versuche, kirchliche Gerichtsbarkeit auszubauen, die Patronatsrechte zu nutzen und den Einfluss der Domherren zu sichern.

Reformation und kirchliche Umbrüche

Auch in religiöser Hinsicht vollzogen sich Veränderungen. Ab 1528/29 begannen Wurster Gemeinden, von katholischen Gottesdienstformen abzuweichen; 1530 widersprach Erzbischof Christoph diesen Veränderungen. (Wikipedia)

Die Wurster wählten einen Superintendenten nach dem Vorbild Bremens und erstellten eine eigene Kirchenordnung (Agenda Wursatorum ecclesiastica) — ein Dokument, das zwar nie gedruckt wurde, aber Ausdruck eines eigenständigen kirchlichen Selbstbewusstseins war. (Wikipedia)

Die Reformation erfolgte teils unter Druck, teils aus eigenem Antrieb — doch sie setzte sich durch. Die ehemals katholischen Strukturen wurden bald evangelisch umgestaltet, und Bremen übernahm auch die kirchenrechtliche Aufsicht. (Wikipedia)

Der Kirchenzins Land Wursten als Symbol eines Freiheitskampfes

Der zentralen Konflikt — der Kirchenzins Land Wursten — war nie nur eine Geldfrage. Er stand für Macht und Würde, für das Recht, über das eigene Land und die Kirche selbst zu bestimmen.

  • Geld war Mittel zur Finanzierung des Klerus und des Kirchenbetriebs.
  • Gerichtshoheit war echter Machtanspruch: Wer über Recht urteilte, kontrollierte das Leben der Menschen.
  • Selbstverwaltung der Dörfer war Ausdruck von Identität und Unabhängigkeit.
  • Der Kirchenzins wurde zum Katalysator eines jahrhundertealten Konflikts, in dem Geld, Religion und Herrschaft miteinander verwoben waren.

Im Land Wursten wehrte man sich nicht gegen den Glauben — sondern gegen die Kontrolle von außen. In dieser Spannung zeigt sich etwas Typisches für Grenzräume: Der Widerstand gegen Zentralmacht dort, wo das tägliche Leben unmittelbar von Land und Wasser bestimmt war.

Spuren und heute sichtbare Zeugnisse

Kirchen und Bauinschriften

Wenn du heute durch Dorum, Wremen, Misselwarden oder Mulsum gehst, siehst du Kirchen, die nicht als Adelssitze errichtet wurden, sondern als Bauwerke der Gemeinden. (Wikipedia) Bauinschriften nennen oft nicht Landesherren — das bedeutet: Die Gemeinden beanspruchten sichtbare Unabhängigkeit.

Die St.-Katharinen-Kirche in Misselwarden, die St.-Matthäus-Kirche in Padingbüttel oder die große Willehadi-Kirche in Wremen gehören zu den Zeugen dieser Tradition. (Wikipedia)

Burgplatz Morgenstern und Klenckenhamm

Der Burgplatz Morgenstern bei Weddewarden ist heute kaum noch sichtbar — dennoch erinnert eine Informationstafel an die Burg, die nach der Niederlage von 1517 errichtet und bald danach zerstört wurde.

Der Klenckenhamm erinnert an den Ort, an dem die Gesandtschaft unter Domdekan Konrad Klencke getötet wurde (1518). (Wikipedia)

Thingstätte und Forenplätze

Die Thingstätte Sieverdyshamm, zwischen Misselwarden und Twernendamm nahe der Wehlsbrücke, war ein historischer Versammlungsort der Wurster Gemeinden. Hier tagten die Ratgeber und wurde die Wurster Willkür beschlossen.

Gedenksteine, Kirchhöfe und Flurnamen

Im Wremer Kirchhof wird an Tjede Pekes und die Gefallenen der Schlacht von 1517 erinnert — ein Symbol des Widerstands gegen die bremische Herrschaft.

Flurnamen wie „Klenkenhamm“ oder „Morgenstern“ tragen die Erinnerung weiter in die Landschaft hinein.

Was du heute vor Ort entdecken kannst

  • Wremen / Willehadi-Kirche: eine der ältesten Kirchen im Land Wursten (um 1200) und Symbol der eigenständigen Kirchengestaltung. (Wikipedia)
  • Misselwarden / St.-Katharinen-Kirche: ein Backsteinbau mit lokalen Besonderheiten, mit Blick auf die marschische Struktur der Region. (Wikipedia)
  • Morgenstern (Weddewarden): kein sichtbarer Turm mehr, aber eine Erinnerungstafel markiert den ehemaligen Standort.
  • Klenckenhamm / Dingplatz: nahe dem Treffpunkt, wo die Auseinandersetzung 1518 eskalierte.
  • Sieverdyshamm: ehemaliger Versammlungsort der Wurster Willkür.
  • Kirchenbauinschriften in Dorum, Mulsum, Padingbüttel: achte auf fehlende Fürstenbezüge, statt dessen Hinweise auf Bau und Unterhalt durch Gemeinden.

Wenn du durch diese Dörfer spazierst, nimm Kirchenwinkel, Steinquader und Inschriften genauer ins Auge — oft erzählen sie mehr, als ein Schild vermitteln kann.

Was Du hier lernen konntest

Der Kirchenzins Land Wursten war kein anderer Zins — er war ein Brennpunkt eines Freiheitskampfs. Was als unscheinbare Abgabe begann, entpuppte sich als Symbolfrage: Wem gehört die Macht — dem Bischof oder den Menschen vor Ort? Die Wurster Bauern verteidigten über Jahrhunderte ihre Unabhängigkeit. Erst mit Gewalt und politischem Druck wurde ihre Selbstverwaltung gebrochen.

Doch ihr Widerstand hinterließ Spuren: in Kirchen, Flurnamen, Steininschriften und im kollektiven Gedächtnis. Wenn du heute durch Dorum, Wremen oder Misselwarden gehst, kannst du diese Geschichte noch spüren — im Wind über der Marsch, im Schatten der Kirchen und im Wissen, dass Freiheit manchmal auch in kleinen Abgaben entschieden wird.

Quellen & Literatur

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