Politik zwischen Freiheit und Oberhoheit
Das johann rode schutzbündnis markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Wurster Freiheit. Nach Jahren der Fehde – 1484 bei Alsum, 1499 gegen die Schwarze Garde – stand das Land Wursten um 1500 zwischen Fronten. Der Bremer Erzbischof Johann Rode suchte den Ausgleich: Schutz nach außen, Selbstverwaltung nach innen. In Verhandlungen Anfang 1500 begaben sich die Wurster unter die Oberhoheit des Erzbischofs, behielten aber „weitgehend ihre Unabhängigkeit“ – so die überlieferte Kurzformel. Dieser Beitrag erzählt, wie es dazu kam, was vereinbart wurde und was du heute noch siehst. [1][2][3]
Ausgangslage: Zwischen Deich, Recht und Nachbarn
Im späten 15. Jahrhundert ist das Land Wursten eine Bauernrepublik: Neun Kirchspiele, Landsgemeinde, 16 Ratgeber – Selbstverwaltung in friesischer Tradition. Zugleich ist die Marsch reich (Landwirtschaft, Küstenverkehr) und verwundbar (Sturmfluten, Fehden). Von außen drücken zwei Mächte: das Erzstift Bremen und Sachsen-Lauenburg. Der lauenburgische Herzog Magnus reklamiert „altsächsische Rechte“ und setzt auf Gewalt. Um 1499 wirbt er ein professionelles Söldnerheer, die Schwarze Garde. Bei Weddewarden scheitert der Vorstoß – ein Signal, aber noch kein Frieden. [2][3]
Auf bremischer Seite steht seit 1497 Erzbischof Johann III. Rode. Er will verlorene Hoheitsrechte sichern und lässt 1498–1500 das „Vörder Register“ zusammentragen – ein großes Verzeichnis von Rechten, Einkünften und Bezirken des Erzstifts (darunter ausdrücklich das Land Wursten). Das ist Verwaltungspolitik mit Langzeitblick: wer Rechte erfasst, kann sie auch geltend machen. [1]

Was bedeutet „Schutzbündnis“ – und warum 1500?
Nach der Niederlage der Schwarzen Garde verlagert sich der Konflikt auf den Verhandlungstisch. Anfang 1500 kommt es – vermittelt durch Nachbarn – zu einer Einigung: Die Herzöge von Sachsen-Lauenburg behalten Hadeln, die Wurster begeben sich unter die Herrschaft des Bremer Erzbischofs, behalten aber weitgehend ihre Autonomie. Der Kern: Schutz und Oberhoheit gegen außen; Selbstverwaltung im Inneren. [2][3]
Aus archivischer Sicht ist für die Jahre um 1499/1500 eine Reihe von Verträgen zwischen dem Erzbistum und dem Land Wursten nachgewiesen – darunter Stücke 1499 und 1500 (Bestand NLA ST, Rep. 5b, „Verträge zwischen den Erzbischöfen von Bremen und dem Land Wursten“). Das stützt die politische Lesart: Es gab schriftlich fixierte Abmachungen, nicht bloß ein „Handschlag“. [3]
Kurz gesagt: Das Schutzbündnis ist kein romantischer Mythos. Es steht in einer Kette schriftlicher Vereinbarungen – und in der Realpolitik zwischen Deichbau, Marschwegen und Fürsteninteressen.

Johann Rode – der Erzpolitiker
Johann Rode von Wale (um 1445–1511) bringt zwei Dinge mit: städtische Prägung (Bremer Ratsherrenfamilie) und Verwaltungssinn. Er weiß, dass Militär allein nicht reicht. Darum registriert er (Vörder Register), verhandelt (1500) und kooperiert, wo möglich (mit Hansestädten, mit regionalen Akteuren). Die Deutsche Biographie zeichnet ihn als Kirchenfürsten, der die Position des Landesherrn wirtschaftlich und rechtlich stärken will – ohne die Realität vor Ort zu ignorieren. [1][2]
Für Wursten bedeutete das: Anerkennung einer Oberhoheit (Erzbistum) gegen Sicherheit an der Grenze. Und politisch klug: Rodes Oberhoheit blieb zunächst locker, die Landsgemeinde funktionierte weiter. Das erklärt, warum 1508 die Wurster Willkür (Landesrecht) öffentlich verlesen wurde – als innerer Ordnungsrahmen trotz äußerer Bindung.
Wie konnte das funktionieren – juristisch und praktisch?
Juristisch
- Oberhoheit/Schutz: Der Erzbischof vertritt Wursten nach außen (Fehde, Diplomatie).
- Selbstverwaltung: Die Wurster regeln innerhalb mit Landsgemeinde und Ratgebern (Recht, Abgaben, Deichpflicht).
- Vertragskette: Vereinbarungen 1499/1500 – ergänzt durch weitere Abmachungen (z. B. 1512) – strukturieren das Verhältnis. [3]
Praktisch
- Deich & Siel: Wer Deiche hält und Siele bedient, kontrolliert die Marsch. Das blieb Wurster Kernkompetenz.
- Wege & Specken: Die erhöhten Marschwege sicherten Mobilität – und waren militärisch taktisch wichtig.
- Struktur vor Ort: Kirchen, Kirchspiele, Thingstätte (Sieverdyshamm) – die Ordnung blieb sichtbar.
rte, an denen das Bündnis „greifbar“ wird
- Weddewarden (Bremerhaven-Nord): Raum des Gefechts von 1499; zeigt, warum Deichlinien und Specken Politik entscheiden konnten.
- Sieverdyshamm / Wehlsbrücke (Misselwarden): Thing-Ort der Wurster, 1508 Lesung der Wurster Willkür – Symbol der Selbstverwaltung.
- Burg Bederkesa (Museum): Regionale Machtlandschaft; Karten, Urkunden und Modelle erklären Wege, Besitz und Herrschaft um 1500.
- Bremervörde – Vörde/Burg: Sitz der Erzbischöfe; der Ort, an dem Johann Rode residierte und verwaltete – Stichwort Vörder Register. [1]
Begriff erklärt
Oberhoheit: Recht, über ein Gebiet von außen zu verfügen (Schutz, Krieg, Diplomatie).
Selbstverwaltung: Innere Ordnung durch die Gemeinde (Gericht, Abgaben, Deichpflicht).
Vörder Register: Von Johann Rode veranlasstes Verzeichnis der Rechte/Einkünfte des Erzstifts (1498–1500) – digitale Ausgabe nach Hodenberg online. [1]
Specken: Erhöhte Marschwege, die Bewegung kanalisieren – strategische Engstellen.
Zeitleiste 1497–1511
- 1497: Johann Rode wird Erzbischof von Bremen. [2]
- 1498–1500: Vörder Register erfasst Rechte, Einkünfte und Bezirke des Erzstifts – inkl. Land Wursten (GDZ-Digitalisat). [1]
- 1499: Niederlage der Schwarzen Garde bei Weddewarden. [2]
- 1500 (Anfang): Verhandlungen: Hadeln bleibt lauenburgisch; Wursten stellt sich unter Bremens Schutz, behält weitgehend Autonomie. [2][3]
- 1508 (Kontext): Wurster Willkür – Landesrecht der Wurster, öffentlich verlesen (Sieverdyshamm).
- 1511: Tod Johann Rodes auf Burg Vörde. [2]

„Orte besuchen“
Weddewarden / Deichbereich | Marsch- und Deichlandschaft; Raum der Ereignisse von 1499 (Kontext des Bündnisses). Lage: Bremerhaven-Nord, Deichlinie Weddewarden. Hinweis: Teile sind Privat-/Wirtschaftsflächen; Wegegebot.
Sieverdyshamm – Wehlsbrücke (Misselwarden) | Thing-/Gedenkort; erklärt die innere Ordnung (Willkür 1508). Lage: Feldweg nordöstlich Misselwarden; Gedenkstein am Graben.
Burg Bederkesa – Archäologisches Museum | Karten, Urkunden, Modelle zur Burg- und Machtlandschaft um 1500. Lage: Bad Bederkesa, Burgstraße.
Bremervörde / Schlossplatz | Ort der Burg Vörde (heute Schlossplatz); Sitz der Erzbischöfe; Bezug zum Vörder Register. Lage: Stadtzentrum Bremervörde.

Erinnerungskultur: „Schutz“ ohne Unterwerfung?
Das Schutzbündnis hat in der Region einen pragmatischen Klang: kein Triumph, kein Mythos, eher vernünftige Selbstbehauptung. Die Formel „unter die Herrschaft – bei weitgehender Unabhängigkeit“ ist bewusst offen. Sie passt zu einer Grenzlage, in der Recht und Topografie zusammenarbeiten: Der Erzbischof vertritt Wursten nach außen; die Landsgemeinde regelt innen. Dass diese Balance zerbrechlich war, zeigen die Jahrzehnte danach: Mit Christoph von Braunschweig-Lüneburg (ab 1511) verschoben sich Machtachsen – 1524/25 endete die Autonomie. [2][3]
Quellenlage & Unsicherheiten (Infokasten)
- Gesichert: Amt und Rolle Johann Rodes (1497–1511); Vörder Register (1498–1500) als Rechteverzeichnis inkl. Wursten (Digitalisat). [1][2]
- Gesichert im Kern: Verhandlungsfrieden Anfang 1500: Hadeln lauenburgisch; Wursten unter Bremens Schutz/Oberhoheit – Autonomie weitgehend erhalten. [2]
- Archivisch belegt: Verträge zwischen Erzbischöfen und Land Wursten u. a. 1499/1500 (Arcinsys-Bestand). [3]
- Offen/variabel: Wortlaut einzelner Vertragsklauseln; genaue Modalitäten der „Autonomie“ (Richterwahl, Abgaben, Militärpflicht) in den Jahren unmittelbar nach 1500 – die Praxis ist orts- und anlassbezogen.
- Hinweis: Spätere Chroniken vereinfachen den Befund. Für Detailfragen lohnt der Blick in Editionen/Bestände (siehe Quellen).
Barrierefreie Einordnung: Drei Sätze, die helfen
- Schutzbündnis heißt: äußerer Schutz durch den Erzbischof, innere Regeln weiterhin bei den Wurstern.
- Warum 1500? Weil der Druck von außen groß war (Söldnerzug 1499) und ein Ausgleich nötig wurde.
- Was bleibt heute? Du siehst Deichlinien, Specken, Gedenksteine – stille Zeugnisse dafür, wie Landschaft und Politik zusammenhängen.
Was es hier zu lernen gab:
- Politik am Deich: Das johann rode schutzbündnis verbindet Topografie und Recht – Schutz nach außen, Ordnung nach innen.
- Verträge statt Mythen: 1499/1500 ist schriftlich greifbar; das Vörder Register zeigt den administrativen Unterbau. [1][3]
- Balanceakt: „Oberhoheit“ und „Selbstverwaltung“ schlossen sich nicht aus – sie hielten einander in Schach. [2]
- Orte erklären Geschichte: Weddewarden, Sieverdyshamm, Bederkesa, Bremervörde – vier Stationen, die die Sache begreifbar machen.
- Ende mit Ansage: Der Kompromiss trug gut zwanzig Jahre; 1524/25 setzte sich Gewaltpolitik durch – die Autonomie endete. [2][3]
Quellen (genau 3)
[1] Bremer Geschichtsquellen II: Das Vörder Register (1498–1500). — SUB Göttingen / GDZ (Digitalisat nach W. von Hodenberg, 1856). Register der Rechte und Einkünfte des Erzstifts, inkl. Nennung des Landes Wursten. Abgerufen am: 05. Oktober 2025. https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN55902584X (resolver.sub.uni-goettingen.de)
[2] Johann III. (Rode von Wale), Erzbischof von Bremen. — Deutsche Biographie (Artikel, NDB; Kurzfassung online). Kontext: Politik Rodes, Konflikte mit Magnus, Niederlage der „Schwarzen Garde“ bei Weddewarden; Einordnung der Herrschafts- und Rechtsfragen. Abgerufen am: 05. Oktober 2025. https://www.deutsche-biographie.de/sfz37417.html (Deutsche Biographie)
[3] Verträge zwischen den Erzbischöfen von Bremen und dem Land Wursten (1456–1558). — Niedersächsisches Landesarchiv (Arcinsys), Rep. 5b, Nr. 3183. Archivalischer Nachweis u. a. für 1499 und 1500 (Vertragsabschriften). Abgerufen am: 05. Oktober 2025. https://www.arcinsys.niedersachsen.de/arcinsys/detailAction.action?detailid=v876069 (arcinsys.niedersachsen.de)
Hinweis: Weitere Kontexte (z. B. Lokalseiten zur Wurster Freiheit 1524; Überblick zum „Dominium Visurgis“) wurden ergänzend konsultiert, aber nicht zitiert, um die geforderte Dreierauswahl aus Archiv/Edition und wissenschaftlicher Kurzbiografie beizubehalten.













