Zwingburg, Streitobjekt, Zerstörung – was vor Ort erinnert
Wer im Land Wursten von der Burg Morgenstern hört, stellt sich leicht Türme und Zinnen vor. Die Wirklichkeit war nüchterner. Die Burg am Deich von Weddewarden (heute Bremerhaven) war vor allem eins: ein Druckmittel. Der Erzbischof von Bremen wollte nach den Gefechten von 1517 seinen Anspruch in Wursten sichern – und setzte auf eine Zwingburg, die die Küstenbauern im Blick behalten sollte. Lange stand sie nicht. Die Wurster und ihre Verbündeten rissen sie bald wieder nieder. Trotzdem markiert die Burg den Weg zum Ende der Wurster Freiheit im Jahr 1524. Dieser Text führt Schritt für Schritt durch die Geschichte, zeigt Streitpunkte und nennt Orte, an denen sich das bis heute verankert hat. [1][2][3]
Worum es ging: Freiheit am Meer, Macht im Binnenland
Das Land Wursten war vom Mittelalter bis 1524 eine Bauernrepublik mit eigener Gerichtsbarkeit. Neun Kirchspiele bildeten die Landsgemeinde, an deren Spitze standen die 16 Ratgeber. Das Recht gründete auf friesischer Tradition. Treffpunkt der gemeinsamen Entscheidungen war der Sieverdyshamm bei Misselwarden. Hier wurde 1508 die Wurster Willkür – ein Landesrechtswerk – öffentlich verlesen. Das passte Nachbarn und Landesherren oft nicht. Immer wieder kam es zu Reibungen mit Sachsen-Lauenburg und mit dem Erzstift Bremen. [3]
1517: Niederlage – und ein Bauprojekt als Signal
Im Dezember 1517 unterlagen die Wurster nach harten Kämpfen am Wremer Siel. In den Quellen erscheint diese Episode als erster Eroberungszug des Erzbischofs Christoph von Braunschweig-Wolfenbüttel. Die Wurster mussten Abgaben leisten und eine Zwingburg dulden – eben jene Burg Morgenstern am Deich von Weddewarden. Sie war kein repräsentativer Sitz, sondern ein militärischer Pfahl im Fleisch der Küstenbauern: ein Vorratsbau mit Wachmannschaft, ein Ort, an dem man Kontrolle ausüben konnte. [1][2]
Deutung: Die Burg diente weniger dem Schutz als der Disziplinierung. So liest man die Quellen aus bremischer Sicht – und so erinnerten es Wurster Chronisten später. Der Begriff „Zwingburg“ (also Burg zur Unterwerfung) ist deshalb bewertend, trifft hier aber den Kern.

1518: Eskalation am Thing – und der Gegenschlag
Als 1518 eine bremische Gesandtschaft unter Domdechant Konrad Klenke zur Thingstätte der Wurster kam, eskalierte der Streit. Es kam zur Thingtat – die Gesandten wurden getötet. Ein schweres Unrecht, das die Lage dramatisch verschärfte. In der Folge zerstörten Wurster Kräfte Burg Morgenstern und vertrieben bremische Beamte. Für einige Jahre arrangierte man sich mit Sachsen-Lauenburg – doch die Ruhe war trügerisch. [1]
1524: Aufmarsch – und das Ende der Freiheit
1524 rückte der Erzbischof erneut an – dieses Mal mit einer großen Streitmacht. Über Sievern marschierten die Truppen nach Mulsum. Auf dem Kirchhof kam es zur entscheidenden Schlacht: Die Wurster Aufgebote, Bauern und Kirchspielsmänner, unterlagen. Danach folgten Plünderungen, Zwangsmaßnahmen und die Einbindung in die erzstiftliche Verwaltung. 1525 wurde das im Stader Frieden besiegelt: Die Selbstverwaltung war beendet; in jedem Kirchspiel setzte das Erzstift Vögte ein. [1][2]
Was die Burg Morgenstern war – und was sie nicht war
Bauform und Funktion (soweit greifbar)
Über Aussehen und Größe der Burg berichten die Quellen spärlich. Sicher ist: Sie lag am Deich in Weddewarden. Ihr Zweck war militärisch-administrativ: Wachen, Lager, Sperrpunkt. Kein Residenzschloss, eher ein befestigter Funktionsbau der frühen Neuzeit. Archäologische Reste sind nicht zugänglich dokumentiert; die Überbauung des Geländes begann früh. [1]
Quellenlage & Unsicherheiten
Schriftliche Nachrichten zu Bauform und Innenleben sind dünn. Die Bezeichnung „Burg“ meint hier eher eine Befestigung (Wacht- und Zwangsplatz) als eine hochmittelalterliche Steinburg. Sicher belegt sind Standort, Anlass (1517/18) und Zerstörung durch Wurster Kräfte. [1]
Streitobjekt mit Symbolkraft
Warum regt eine kurzlebige Burg bis heute die Gemüter an? Weil sie für einen Wendepunkt steht: Hier verdichteten sich Rechtsfragen (Wer herrscht?), Topografie (Deich, Siel, Marschwege) und Erinnerung (Freiheitskampf, Niederlage). Schon Zeitgenossen sahen in der Burg ein Symbol, das man entweder duldete – oder nicht.
Orte, an denen die Geschichte greifbar wird
Die Burg selbst ist verschwunden, doch Spuren gibt es:
- Weddewarden – Burgstraße / Deichbereich (Bremerhaven): Hier stand die Burg. Später entstand auf den Grundmauern eine Gaststätte „Schloss Morgenstern“; im 19. Jahrhundert traf sich dort der Verein „Männer vom Morgenstern“. Heute erinnert die Friesenstube und das Stadtarchiv-Dossier an Ort und Geschichte. Privat/teils gewerblich – bitte Respekt vor Anwohnern. [1]
- Sieverdyshamm (Wehlsbrücke) bei Misselwarden: Gedenkstein an der historischen Thingstätte. Hier wurden 1508 die Wurster Willkür verlesen und später die Ereignisse von 1518 erinnert. Freier Zugang am Weg; bleiben Sie auf den Wegeflächen, Wiesen sind Privat- und Wirtschaftsflächen.
- Kirchhof Mulsum (St.-Marien): Schauplatz der Schlacht 1524. Der Kirchhof ist Friedhofs- und Kirchenraum – bitte ruhig verhalten, Öffnungszeiten beachten.
- Wremer Tief / Imsum: Raum der Gefechte von 1517; heute erinnert u. a. ein Gedenkstein an die Kämpfe und an die Gestalt Tjede Pekes.

Wie es zur Burg kam: der Weg über Recht und Topografie
„Willkür“ und Wege
Die Wurster Willkür (1508) regelte vieles: Deichbau, Sielunterhalt, Gerichtsbarkeit. Das ist wichtig: An der Küste entscheidet der Deich über Sicherheit – wer den Deich kontrolliert, kontrolliert das Land. Nach 1517 wollte der Erzbischof genau dort dauerhaft präsent sein. Die Lage am Deich und nah an Handels- und Heerwegen (Lehe – Sievern – Mulsum) machte Weddewarden strategisch sinnvoll. [1][3]
Nach dem Thinge: warum der Bruch so tief war
Die Tötung der bremischen Gesandten 1518 am Sieverdyshamm – in Quellen oft Klenkenhamm genannt – brach einen Damm. Gesandtenschutz war unantastbar. Der Vorgang bot dem Erzbischof den rechtlichen Hebel, mit dem er seine Ansprüche militärisch durchsetzte. Die Zerstörung der Burg durch Wurster Kräfte im gleichen Atemzug war politisch verständlich, rechtlich jedoch brandgefährlich. [1][3]
1524: Aufstellung, Schlacht, Folgen
Der Aufmarsch der erzstiftlichen Truppen lief über Sievern – ein alter Höhenzug mit festen Wegen. Ziel war Mulsum. Auf dem Kirchhof kam es zur Entscheidung. Die Wurster hatten Artillerie und Hakenbüchsen, aber wenig Übung. Nach der Niederlage folgten Zwangsmaßnahmen: Huldigung, Abgaben, Vögte statt Ratgeber – schließlich der Stader Frieden (1525). Die Burg Morgenstern bleibt damit Klammer zwischen 1517 (Bau) und 1524 (Auflösung der Freiheit). [1][2]
Quellenlage & Unsicherheiten
Truppenstärken, Verlustzahlen und genaue Wegführungen variieren je nach Chronik. Einigkeit besteht über die Schlüsselereignisse: Bau der Burg nach 1517, Thingtat 1518, Zerstörung der Burg durch Wurster Kräfte, Schlacht 1524 und Integration in die erzstiftliche Verwaltung 1525. [1][2][3]

Begriff erklärt
- Zwingburg: Befestigter Platz zur Beherrschung einer Region. Keine repräsentative Residenz, sondern Druckpunkt.
- Thing: Rechts- und Versammlungsort einer Gemeinschaft. In Wursten: Sieverdyshamm.
- Vogt: Vom Landesherrn eingesetzter Verwalter/Richter auf regionaler Ebene.
Kontinuitäten vor Ort – was heute noch spricht
- Namen & Fluren: Burgstraße in Weddewarden, Sieverdyshamm/Wehlsbrücke bei Misselwarden – solche Namen halten Erinnerungen fest.
- Kirchenräume: Mulsum, Wremen/Imsum – Kirchen, Friedhöfe und Gedenksteine sind lesbare Archive.
- Vereine & Sammlungen: Der 1882 gegründete Verein „Männer vom Morgenstern“ knüpft an regionale Heimatpflege an; seine Anfänge hängen eng mit dem Burg-Ort zusammen. [1]
Mythen, Deutungen, offene Fragen
- „Schloss“ Morgenstern? Spätere Bezeichnungen romantisieren. Zeitgenössisch handelt es sich um eine Funktionsbefestigung. Fakt ist der Bau nach 1517 und die Zerstörung kurz danach. [1]
- Wer „begann“ den Krieg? 1517 existierten Beiderseits Gewaltakte. Rechtlich schwer wog die Thingtat 1518. Das erklärt die Härte der Reaktion – entschuldigt sie aber nicht. Meinung: Aus heutiger Sicht war die Burg ein unangemessenes Druckmittel in einer verfahrenen Lage.
- Was lag an der Burgstelle? Archäologisch ist wenig publiziert. Der Platz wurde früh überbaut; unser Bild speist sich aus Schriftquellen und späteren Notizen. [1]
Zeitleiste 1517–1525
- 1517 (Dez.): Gefechte am Wremer Siel – Wurster Niederlage; Bau der Burg Morgenstern am Deich Weddewarden. [1]
- 1518 (Aug.): Thingtat am Sieverdyshamm; anschließend Zerstörung der Burg durch Wurster Kräfte. [1]
- 1524 (Sommer/Herbst): Aufmarsch des Erzbischofs über Sievern; Schlacht auf dem Kirchhof von Mulsum – Wurster unterliegen. [2]
- 1525: Stader Frieden; Vögte ersetzen die 16 Ratgeber; Ende der Wurster Freiheit. [2]
Quellen (Auswahl, online)
[1] Burg und Gaststätte „Morgenstern“ — Stadtarchiv Bremerhaven (o. J.). Kurzüberblick zur Burg und späteren Nutzung; Einordnung in Stadtteilgeschichte. Abgerufen am: {{heute}}. https://www.bremerhaven.de/de/freizeit-kultur/stadtarchiv/geschichte-der-stadtteile/ueberseehaefen/burg-und-gaststaette-morgenstern.51670.html (Seestadt Bremerhaven)
[2] Christoph von Braunschweig-Wolfenbüttel — Deutsche Biographie / HAB (1957, Online-Version). Biografischer Steckbrief des Erzbischofs; Kontext der Politik im Erzstift Bremen. Abgerufen am: {{heute}}. https://www.deutsche-biographie.de/sfz56738.html (Deutsche Biographie)
[3] Die 16 Ratgeber des Landes Wursten schreiben an den Rat der Stadt Bremen — Deutsche Digitale Bibliothek (o. J.). Digitaler Nachweis einer Quelle zur Landsgemeinde/Schriftverkehr; belegt die Organstrukturen der Bauernrepublik. Abgerufen am: {{heute}}. https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/KRFWA34LJZ646ZHMM3X3FZFCW45U7NP7 (Deutsche Digitale Bibliothek)
Hinweis: Weitere lokale Detailangaben fußen auf unseren Projekt-Zusammenfassungen (Archiv „Geschichte Land Wursten“) zu 1517, 1518 (Sieverdyshamm/Klenke) und 1524/1525 (Mulsum/Stade).













